Noch einer aktuellen, antifaschistischen, deutschsprachigen Band mit Humor aus dem Hardcore/Punk-Bereich zu begegnen, die Hoffnung hatte ich irgendwie verloren.
Ghetto Justice wollen mir mit ihrem Langspieler (wow – jetzt fühle ich mich wie ein arrivierter Pisser mit Pferdeschwanz und Free Jazz-Plattensammlung) zeigen, dass sich diese Haltungen nicht automatisch gegenseitig ausschließen müssen.
Eine meiner letzten Begegnungen mit deutschsprachiger HC-Mucke hatte mich dann doch eher enttäuscht und mehr Vorurteile bestätigt, als aus dem Weg geräumt. Und in der Tat sieht es zunächst auch so aus, als könne die aus Berlin stammende, 2014 gegründete Band daran so schnell nichts ändern.
“Ich muss doch irgendwo den Fehler finden…habe ich es doch gleich gewusst, das ist gehypte Scheiße!”
Die ersten Reviews und (freundliche) Erwähnungen, die ich während meiner weiteren “Recherchen” finde, lassen bei mir den Eindruck entstehen, als wolle man mehr oder weniger geschickt den Eindruck eines kleinen Hypes entstehen lassen. Sofort gehe ich auf kritische Distanz und fange an, das Machwerk von Ghetto Justice auf links zu drehen und innerlich auseinanderzunehmen. “Ich muss doch irgendwo den Fehler finden…habe ich es doch gleich gewusst, das ist gehypte Scheiße!”
Und dann frage ich mich: “Und wenn, was wäre so falsch daran?” Bei jeder anderen, x-beliebigen Ami-Band hält man schnell die Füße still und nimmt jeden Hype kommentarlos hin, während man bei europäischen/deutschen Bands plötzlich sein Szene-kritisches Bewusstsein wieder findet.
Atzencore…
Währenddessen also lasse ich über Bandcamp das Album im Hintergrund weiterlaufen. Bolleriger Hardcore, im Kopf entstehen Bilder von Muckibuden-Exzessen und “von ostdeutschen Kuhdörfern mit fackel- und mistgabeltragenden Wutbürgern” – uff! Aber hey, weit gefehlt. Nach und nach bahnt sich die Musik durch mein vergrämtes Herz und verschafft sich Gehör: da wird ein lyrischer Rundumschlag veranstaltet, ohne völlig platt und abgedroschen zu wirken, dass sich die Balken biegen. Yeah!
Ob es gegen durch die Welt reisende Hipster (Traveling) geht, die eigenen, “realen” Jungs aus der Szene, die unter der Woche die Spießer-Bank im Büro drücken (Tor zur Hölle) oder verkopfte Linke geht, jeder bekommt seine wohlverdiente Portion Fett weg:
man kann alles ewig diskutieren // lieber krampfhaft gendern während nazis dominieren?
versteht uns nicht falsch // full support für linkes life
leider dennoch keine lust auf den nerv hippi talk // lieber ketten raus kragen hoch, yo
(aus Ghetto Justice: Krampf)
Live, das zeigt beispielsweise das Video vom Return to Strength Fest 2018, hat man eine Menge Spaß: da sind Schnäpse am Start, da wird Lametta gesprüht und der Nerf-Blaster abgefeuert. Im Prinzip all die Dinge, die auch ich tagtäglich im Unterricht veranstalte, um mein Publikum bei Laune zu halten…:-)
So gesehen machen Ghetto Justice auf Easy Living & Exzess viele Dinge richtig. Vor allem haben sie eine Menge Spaß und ziehe ihr eigenes Ding durch, ohne sich hinter den bewährten Standards zu verstecken. Wenn ich nicht längst all mein Budget für Plattenkäufe bereits jetzt schon verbraten hätte, würde ich mir schnell noch die Vinyl-Version holen. Ich bin mir sicher, bei meinem Pech ist die dann spätestens in ein paar Wochen komplett ausverkauft. Also beeilt euch!