Das neue Refused-Album Freedom ohne Subtext, ohne Hype und Reminiszenzen auf “The Shape of Punk to Come” besprechen zu wollen, gleicht dem Versuch, eine Abhandlung über die Relativitätstheorie zu verfassen, ohne Hinweis auf Albert Einstein. Es wäre nicht nur nahezu unmöglich, sondern auch höchst verfälschend.
Nun sitze ich also da, lasse die ersten Takte von “Elektra” erklingen, der unverkennbare Schrei-/Sprechgesang setzt ein und ich denke nur: “na herrlich, ihr macht es einem aber wirklich (nicht) einfach!“. Na gut, “case closed”, Refused kopieren sich selbst, nach 17 Jahren hätte es aber auch ruhig “a bissle me” sein können.
Pause.
Wer nichts anderes erwartet hatte, wird gleich zu Beginn also vollends bedient und kann beruhigt den lang geplanten Verriss verrichten. Ich gehe Austreten und bin so froh, dass die Platte mehr bietet als “New Noise Volume 2”. Denn nach dem abgenudelten Opener wird es zumindest ein wenig anders als erwartet. Haben Refused doch mehr drauf als sich selbst zu kopieren? Ein Wechselbad der Gefühle und ein meisterliches Spiel mit genau eben dieser Erwartungshaltung. Sind ja nicht blöd die Herren um Dennis Lyxén und haben nicht zwei Jahrzehnte im luftleeren Vakuum verbracht. Also weiter zum Schafott, lieber Hörer/Rezensent, mal sehen wer zuerst das Handtuch wirft. Hast es dir also schön mit deiner vorgefertigten Meinung gemütlich gemacht und wechselst sogleich den Kurs auf “Refused sind doch relevant”, als du behäbig zum Groove von “Dawkins Christ” mitschwingst? Da kommt auch schon leise ein musikalisches “New Noise”-Zitat um die Ecke, das dich zweifelnd zurücklässt.
Refused – Freedom Hörprobe
Du wolltest also unbedingt über diese Platte schreiben? Refused den großen “Nothing has changed“-Vorwurf machen, während sich die Welt in den letzten 17 Jahren kontinuierlich in die falsche Richtung entwickelt hat, und Du Dich wahrscheinlich auch? Fanzirkel-Relevanz, der Time Life-Award für aktuelle Musik, das war dein ganz großer (Vor-)Wurf, nicht? – “Go back to sleep, dream a new dream, no more Europeans” .
Und daran soll eine Band schuldig gewesen sein? Dein sinn- und wahlloses Herauspicken von Textzeilen mit denen du bedeutungsschwanger um dich werfen willst, lass das mal schön bleiben! Spätestens bei “Françafrique”, wenn dir die Realität der letzten Tage schlagartig bewusst wird, beschließt du einfach still zu halten und die Musik Musik sein zu lassen. Gegen Ende der A-Seite von “Freedom” hast du es verstanden, lässt die zweite Seite in einem Rutsch durchlaufen und auf dich einwirken. Du hast Deinen Frieden gemacht mit Refused.
Wer sich von allen Vorurteilen frei machen kann, wird eine Menge Freude haben und anerkennen müssen, dass es sich bei “Freedom” um eine in dieser Form nicht erwartetet höchst abwechslungsreichen und über weite Strecken überzeugenden Platte handelt. Hype hin, Relevanz her.